Die Augen der Medusa by Bernhard Jaumann

Die Augen der Medusa by Bernhard Jaumann

Autor:Bernhard Jaumann [Jaumann, Bernhard]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783351032432
Google: ar7XQgAACAAJ
Goodreads: 6334520
Herausgeber: Aufbau
veröffentlicht: 2007-12-31T23:00:00+00:00


4

Giovedì, 17 gennaio

Es war eine Mordssauerei. Angeblich hatte der Krisenstab eine Batterie chemischer Toiletten angefordert, deren Lieferung sich aber aus Gründen, über die keine einhellige Auskunft zu erhalten war, bis auf Weiteres verzögerte. Die zwei azurblauen Kabinen, die vor dem ehemaligen Pfarrgarten an der Piazzetta aufgestellt waren, reichten hinten und vorne nicht. Lange Schlangen konnten nur deshalb vermieden werden, weil es keiner der Betroffenen aushielt, länger als ein paar Sekunden zu warten, und dann im Pfarrgarten verschwand. Offensichtlich handelte es sich um eine ernstzunehmende Epidemie.

Das war auch der Hauptgrund, warum die Bewohner von Montesecco sich weigerten, die Staatsmacht ihre eigenen Örtlichkeiten mit benutzen zu lassen. Schließlich konnte nicht ausgeschlossen werden, dass eine ansteckende Krankheit eingeschleppt worden war. Der Polizeiarzt sprach zwar von einem simplen Brechdurchfall, der höchstwahrscheinlich durch eine Lebensmittelvergiftung ausgelöst worden sei, aber die Tatsache, dass seine Krankenstation in der Sebastianskapelle einem überfüllten Lazarett des Ersten Weltkriegs glich, sprach nicht unbedingt dafür, dass er alles im Griff hatte.

Zweiundzwanzig Staatspolizisten, praktisch die gesamte Schicht, die in der Nacht zuvor an den Straßensperren gewacht hatte, lagen darnieder. Das Mitleid der Dorfbewohner hielt sich in Grenzen. Man hatte wahrlich drängendere Probleme zu bewältigen. Einzig die alte Costanza Marcantoni bot freiwillig ihre Dienste an. Zwar könne sie keine Fachausbildung als Krankenschwester vorweisen, doch habe sie sich zeit ihres Lebens intensiv mit der Wirkung von Kräutern und Tinkturen beschäftigt, so dass sie sich durchaus zutraue, zu einer wirksamen Behandlung der Kranken beizutragen. Ob es sich dabei um Deutsche oder Italiener handle, spiele keine Rolle. Wichtig sei doch letztlich nur der Erfolg. Der Polizeiarzt lehnte das Angebot dankend ab, auch weil die Patienten der etwas verwirrt wirkenden Lazaretthelferin wenig Vertrauen entgegenzubringen schienen.

Nicht nur, um die krankheitsbedingten Ausfälle zu kompensieren, waren frische Polizeikräfte aus Pesaro herangekarrt worden. Die Einsatzleitung hatte unmittelbar nach dem Durchbruch von Catia Vannoni den Befehl erteilt, die Straßensperren personell aufzurüsten. Eine Reihe zusätzlicher Doppelposten sollte im Abstand von mindestens zehn Metern zu den bereits existierenden Stellung beziehen, so dass der zweite Trupp gewarnt und einsatzfähig wäre, wenn der erste durch einen Überraschungsangriff ausgeschaltet würde. Damit entstand um die rote Zone, die die Piazza mit ihren Zugängen einschloss, eine neue, sogenannte gelbe zwischen den beiden Postenreihen. Da die ursprünglichen Absperrungen am äußersten Rand des Gebiets lagen, das sicherheitstechnisch als unbedenklich gelten konnte, blieb nichts anderes übrig, als die gelbe Zone in den bisher frei zugänglichen Teil Monteseccos hinein auszuweiten.

Dass damit die Bewegungsfreiheit der Dorfbewohner weiter eingeschränkt wurde, hätte man noch verschmerzen können. Es war sowieso zu kalt, um in den Gassen spazieren zu gehen. Problematisch war jedoch, dass einige Häuser, wie zum Beispiel das von Lidia Marcantoni, innerhalb des neu errichteten Sperrgebiets zweiter Klasse lagen. Die Einsatzleitung ordnete trotz erbitterter Proteste zuerst auch deren Evakuierung an, hatte aber nicht mit Lidia gerechnet, die direkt vor der Tür des Pfarrhauses ein Igluzelt aufschlug und ankündigte, dort überwintern zu wollen beziehungsweise zu müssen. Ächzend kroch sie in das Zelt, zog ihre Schuhe samt Strümpfen aus und zeigte allen, die es sehen wollten, dass ihre Zehen noch nicht von Erfrierungen verunstaltet waren.



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